Amnesia: The Dark Descent Review

Danke Frictional Games, danke danke danke! Amnesia macht endlich all das richtig, was die Großen im Horror-Genre momentan nicht mehr auf die Reihe kriegen wollen. Subtiler und zugleich eindringlicher Psycho-Horror statt billigem Ekel-Geschocke.

amnesiafront

Titel: Amnesia: The Dark Descent
System: PC
Genre: First Person Survival Horror
Erscheinungsjahr: 2010
Entwickler: Frictional Games
Durchgespielt in 9 Stunden Spielzeit

Story: 7/10
Der Protagonist, in dessen Egoperspektive der Spieler in Amnesia schlüpft, ist bereits das erste von vielen Rätseln, die dieses geniale Survival Horror Game aufwirft. Wo und wann wir uns befinden ist dabei zwar fix erklärt, auf weitere Hintergrundinformationen muss sich aber vorerst geduldet werden, denn Hauptcharakter Daniel hat sein Gedächtnis vollkommen verloren.  Einziger Anhaltspunkt ist ein kleiner, handgeschriebener Zettel, den die Spielfigur neben sich auf dem Fußboden findet. Aus diesem wird klar, dass Amnesia im neunzehnten Jahrhundert in der deutschen Brennenburg spielt. Weiterhin ist der kurzen Notiz zu entnehmen,  dass im „Inner Sanctum“ der Burg ein gewisser Alexander zu finden sei – und dass dieser unbedingt getötet werden müsse. Jede weitere Information zur Geschichte des Spiels meinerseits wäre hier fehl am Platze, denn ein extrem wichtiger Teil des Spielerlebnisses wird durch das eigenständige Aufdecken der Vergangenheit unserer Spielfigur getragen. Warum hat sie ihr Gedächtnis verloren? Warum muss Alexander sterben? Was hat Daniel überhaupt mit ihm zu tun? Und was zur Hölle geht auf dieser verfluchten Burg vor sich!? Je mehr Fragen wir aufzulösen versuchen, desto mehr entfesselt sich der Horror in Brennenburg. Kurz zur Bewertung ohne zu spoilern: Ich persönlich fand die Entwicklung der Geschichte anfangs brilliant und durchaus reif für zehn Punkte. Leider lässt aber vor allem das grandiose Storytelling zu späterer Spielstunde stark nach und auch die multiplen Enden begeisterten mich nicht gerade. Daher gibt’s den verdienten Durchschnitt aus früher Genialität und späterem Druckabfall: Sieben Punkte!

Gameplay: 10/10
Wie schon gesagt ist Amnesia endlich mal wieder ein wahres Horrorspiel und kein stumpfer Schocker. Im Gegenteil: Was uns in Amnesia gruseln lässt, ist eine Mischung aus der instabilen Psyche des Hauptcharakters und unserer eigenen Angst vor dem Ungewissen, die Frictional Games mit perverser Präzision auszunutzen weiß und dem Spieler somit ein einmaliges Horrorerlebnis darbietet. Das Konzept der Identifikation mit unserer Spielfigur geht dabei zu nahezu 100 Prozent auf. Waffen- und somit hilflos finden wir uns in Brennenburg wieder, das Gedächtnis gelöscht und die Psyche verstört. Die Angst vor der Dunkelheit lässt unsere Sicht verschwimmen, wir hören plötzlich Geräusche. Oh Gott, was wenn jetzt ein Gegner auftaucht?? Schnell verstecken wir uns unter einem Tisch, wagen es nicht, uns umzudrehen sondern beruhigen Daniels und auch unsere eigene Psycho, indem wir abwarten, bis die Sicht normal wird und die Geräusche verschwinden. Erst dann wagen wir uns wieder auf die Suche nach Informationen, sind wir doch als Spieler genau so unbeholfen und ahnungslos wie Daniel selbst. Gegen die vor Allem im späteren Spielverlauf allgegenwärtige Dunkelheit helfen nur die rar gesäten Zündhölzer, die uns auf unserer Suche nach Informationen ab und an in die Hände fallen. Was passiert mit uns? Was ist in Brennenburg vorgefallen? Und wie viel von dem was wir aufdecken dürfen wir eigentlichen glauben? Das Gameplay von Amnesia lässt uns mitfiebern, mitfühlen und mitfürchten. Von echtem, guten Horror rede ich nicht, wenn mir Blut und Gedärme auf dem Hollywood-Schockerteller vorgeführt werden, sondern wenn ich mich beim Genuss des Mediums fürchte und bedrückt fühle. Amnesia weiß, wie so etwas funktioniert – und das mit gnadenloser Genauigkeit.

Grafik: 9/10
Wie die meisten Leser dieser Seite mittlerweile wissen dürften, bewerte ich unter dem Punkt Grafik nicht nur die Grafikqualität, die bei Amnesia zugegebenermaßen nur knapp im oberen Mittelfeld liegt, sondern auch die Atmosphäre eines Spiels, und die hat es in diesem Fall schlichtweg in sich. Brennenburg ist ein mysteriöser Ort, an dem wir nicht weniger panisch als unsere wehrlose Spielfigur vor jedem Anzeichen eines Monsters flüchten. Isolation, psychische Anfälle, die Angst vor der Dunkelheit und die grafischen Einflüsse unseres geistigen Zustands (Verschwimmen, Verzerren, Schwindeln) tragen ihren Teil zum Gesamtkunstwerk bei und kanalisieren Daniels Angst direkt auf den Spieler selbst. Optisch innovativ und ohne störende Macken wird Amnesia darüber hinaus von einer vortrefflichen Soundkulisse untermalt und hier und dort gelegentlich von einem Soundtrack begleitet, der so unterschwellig persuasiv ist, dass man ihn beim spielen selbst kaum aktiv wahrnimmt. Die hohe Punktzahl errechnet sich also aus einer fehlerlosen, wenn auch mittelmäßigen Grafik, einer grandiosen Atmosphäre, die nicht zuletzt auf akkustischer Ebene perfekte Unterstützung findet und grafischer Innovation bei der Darstellung psychischer Stadien.

Fazit:
Als Coregamer hängt man ja bekanntlich oft auf gängigen Internetseiten herum, die das nerdige Hobby zum Thema haben. Auf so ziemlich jeder davon wurde ich eine Zeit lang vom Amnesia-Hype regelrecht erschlagen und dachte nach eigener Recherche eigentlich nur „Hmm…mal wieder so’n Horrorspiel“. Erst als mich meine Freundin Yamisin (schönen Gruß an dieser Stelle und eine Widmung für’s gewünschte Review) geradezu zwang das Spiel selbst zu testen wurde mir bewusst: Nein, Amnesia ist alles andere als „wieder so’n Horrorspiel“. Nachdem ich mir die Vollversion aus den Staaten importierte (in Deutschland gibt es das Meisterwerk leider nur als Downloadttitel) haben wir uns also gemeinsam in die Welt von Amnesia begeben. Die Horroratmosphäre hat ihre Wirkung bei uns nicht verfehlt, während gelegentliche Rätsel die grauen Zellen in Schwung brachten. Amnesia hat mich trotz anfänglicher Zweifel auf der Stelle begeistert und mich eine kleine Träne in Erinnerung an gute, alte Horrorspiele vergießen lassen. Ja, dieser Seitenhieb ging in Richtung Serienzerfall durch Mainstreamanpassung, Silent Hill Einfallslosigkeit und Resident Evil Rumgeballer. Schämt euch und nehmt euch ein Beispiel an diesem Glanzstück eines Genres, das ihr einst zu dominieren wusstet! Bei Frictional Games weiß man heute nicht nur, was man tut, sondern auch, wie man mit Herzblut und Leidenschaft ein Spiel erschafft, das anders ist, Mut zur Innovation hat und hoffentlich seine Inspiration auf weitere Spiele weitertragen wird. Belohnt wird ein solches Meisterwerk in Deutschland dann noch nicht einmal mit einem ordentlichen Retail-Release. So weit ist es schon gekommen, liebe Resident Evil 5 Käufer.

TL;DNR: Genialer Psychohorror, durchdacht und gut, später möglicherweise etwas langatmig.