Meine Stadt – Ein melancholisches Wiedersehen

Dinge ändern sich. Wenn ich heute durch die Stadtmauern schreite, um meiner alten Heimat einen Besuch abzustatten, dann füllen sich meine Gedanken mit Erinnerungen an längst vergangene Tage. Bessere Tage? Wer weiß. Sicher ist nur, dass zehn Jahre eine lange Zeit sind und wohl nichts für die Ewigkeit besteht.

Die Gassen sind wie ausgestorben. Wo früher das bunte Leben tobte und die Leute ihre Klamotten zur Schau stellten, finde ich heute nur ein paar leere Geschäfte vor. Der Käseladen gegenüber der Apotheke war früher stets gut besucht, doch heute sehe ich selbst hier nicht einen einzigen Kunden. Hat die Zeit diesem Ort so böse mitgespielt? Ich frage mich, wo all die Händler geblieben sind, die früher wie Marktschreier ihre Waren angepriesen haben. Vielleicht hat die Eröffnung des Konsumtempels im Zentrum etwas damit zu tun, dass die Straßen wie leer gefegt sind. Als ich selbigem einen Besuch abstatten will, stelle ich fest, dass aus der kleinen Hinterhof Kaschemme mittlerweile ein ansehnliches Etablissement geworden ist. Ich erblicke den ein oder anderen Banker mit den Auktionatoren feilschen, werfe selbst kurz einen Blick auf das Angebot und stelle erschrocken fest, dass die Inflation auch vor meiner Stadt nicht halt gemacht hat. Der Blick in den Geldbeutel lässt mich recht schnell den Entschluss fassen weiter zu ziehen. Hier werde ich heute wohl nicht den großen Gewinn machen, den sich die Banker um mich herum erhoffen.

Als ich das Gebäude verlasse sehe ich plötzlich ein bekanntes Gesicht. Thomas Miller, der wandernde Bäcker, dreht eine seiner Runden über den Haupthof des Handelsdistrikts. Ich begrüße ihn und wie immer kommt es zum Tausch. Der Mann, der sich selbst Bäcker schimpft, ist in Wahrheit ein undurchschaubarer Geschäftsmann und kauft mir bei jeder Gelegenheit die Mitbringsel  meiner Reisen ab. Ich frage mich gar nicht erst, was er damit vor hat, denn er bezahlt faire Preise. Es scheint ihn auch nicht weiter zu stören, dass ich seit Jahren kein Brot mehr bei ihm gekauft habe. Kurz darauf verabschiedet er sich wortkarg und setzt seine Route fort. Auch ich entscheide mich ein wenig weiter zu schlendern.

Als mich mein Weg an den Kanälen vorbei führt, die die Stadtwache umgeben, erinnere ich mich an ein Gespräch, das ich einst zwischen zwei Reisenden belauscht habe. Aufgetischt wurde feinstes Seemanssgarrn: Einer der Männer beteuerte, beim Angeln in den Kanälen ein Krokodil-Baby gefangen zu haben.  Ich muss schmunzeln.

Auf dem Weg zum Stadtpark komme ich an der Slaughtered Lamb Tavern vorbei. Hier wundere ich mich tatsächlich kaum, dass das Gasthaus wie immer unbesucht ist. Ich konnte die Klientel dort nie sonderlich leiden. An einem imposanten Turm schnappe ich ungewollt eine Konversation dreier Nerds auf, die sich scheinbar über die Konsequenzen gekreuzter Strahlen unterhalten. Ich steige nach wenigen Sätzen aus und setze meinen Weg zum Stadtpark fort.

Am Eingang des Parks erlebe ich eine herbe Überraschung: Sie haben die gemütliche Grünanlage abgerissen! Die Bauarbeiten sind offensichtlich noch in vollem Gange, überall liegen Steine herum. Wahrscheinlich entsteht hier eins der neuen Hafengebäude. Wer braucht schon einen Park, wenn man mit Fähren in die ganze Welt hinaus kommen kann? Früher kamen wir gerade einmal mit dem Zug in die nächste Großstadt, aber beschwert haben wir uns trotzdem nie. Meine Stadt geht vor die Hunde. Traurig werfe ich einen Blick auf die riesigen Piers, an denen das Anlegen und Abfahren der Schiffe fast schon wie automatisiert wirkt und frage mich, wer dieser Entwicklung zugestimmt hat. Es war hier doch immer so gemütlich…

Ich schlendere gedankenverloren in Richtung der großen Kathedrale. Beim Anblick des Friedhofs, der in sattem grün hypnotische Idylle versprüht, wird mir kalt um’s Herz. Viele Freunde habe ich zwischen den Abenteuern verloren. Ich selbst schaffe es trotzdem irgendwie immer wieder, meinen Weg zurück in diese Stadt zu finden. Wie lange wird das noch so weitergehen? Werde auch ich eines Tages zur Ruhe gelegt? Wann wird der Zeitpunkt kommen, an dem auch für mich der Abschied kommt und ich den Mauern meiner Stadt für für immer lebewohl sagen werde? Am Kathedralenhof schnappe ich mir einen der köstlich roten Äpfel und wandere langsam zurück zum Handelsbezirk.

Ich trete durch die altbekannte Eingangspforte der Gilded Rose und lege mich für ungewisse Zeit nieder. Vieles hat sich verändert. Ich selbst bin da keine Ausnahme. Zehn Jahre sind tatsächlich eine verdammt lange Zeit und wenn ich mich heute zurück erinnere, wie ich damals erwartungsvoll das erste mal über die lange Brücke rannte und schließlich ankam in einer Metropole ungeahnter Größe, mitten am Puls des Lebens, zusammengeworfen mit unzähligen Gleichgesinnten, so wird mir angesichts der gespenstischen Ruhe des heutigen Tages klar, dass wohl tatsächlich nichts für die Ewigkeit bleibt – selbst hier nicht. Gute Nacht, Stormwind, und herzlichen Glückwunsch zu fast zehn Jahren Bestehen. Home is where the Hearth is.