Der Deutsche Videospielpreis 2010
Beim Deutschen Videospielpreis lebt man – ganz nach dem gängigen Klischee über Videospieler – in seiner eigenen kleinen Welt. Was von der Idee her durchaus Sinn macht, nämliche innovative deutsche Games mit einem Preis auszuzeichnen, versagte am 01.05.2010 in Berlin auf der Durchführungsebene leider komplett.
Angefangen bei der Juri, die zum größten Teil aus Politikern und Medienpädagogen bestand, und nicht etwa durchgängig aus fachkompetenten Experten wie den Redakteuren der Computer Bild Spiele und der PC-Games (die leider die Minderheit unter den 25 Jurimitglieder waren) fällt selbst dem themenfremdesten Betrachter sofort auf, dass diese Juroren in etwa so unvoreingenommen ihre Punkte verteilen, wie die Ex-UDSSR-Länder beim Eurovision Songcontest. Die Diplomsozialpädagogen, Kindermedienwissenschaftler, USK-Abgeordneten und Bundestags-Mediensprecher (natürlich wieder einmal nur von den in diesem Bereich ja bekanntlich besonders fitten Partein CDU und SPD) sollten nun also deutsche Spiele aus zehn Kategorien mit Preisen ehren. Natürlich blieb es nicht aus, dass bei so einem Gremium auch offiziell schnell bestätigt werden musste, dass beim deutschen Videospielpreis fast ausschließlich Spiele mit „pädagogisch und kulturell wertvollem Inhalt“ zugelassen sind (in den fünf wichtigsten der zehn Kategorien war dieses Jahr ein solcher Inhalt vorzuweisen, um nominiert zu werden).
So war schnell klar, dass es nicht allzuviele Games aus deutscher Feder gab, die den Anforderungen der konservativen Scheuklappenjuri gerecht werden konnten. Wird eine solche Juri dann auch noch mit den oben beschriebenen Eingrenzung bei 50 Prozent der Kategoreien vermischt, wird natürlich schnell eins zum anderen addiert und das gesamte Prozedere der Spielebewertung über den „Anti-Gewalt/Sexismus/Schimpfwort-Kamm“ geschoren.
Die Kategorien „Bestes Spiel bis 12 Jahre“ und „Bestes Lernspiel“ sind mit Caipt’n Sharky und Experiminte auch sicherlich fair vergeben worden. Auch die Vergabe des Preises „Bestes deutsches Spiel“ an Anno 1404 kann der Spieler noch nachvollziehen. Doch mit allen weiteren Preisvergaben verstrickt sich der Deutsche Videospielpreis in Widersprüche und Obskuritäten. Angefangen bei der angekündigten kategorie „Bestes Online-Lernspiel“, die auf der Preisverleihung kurzerhand in „Bestes Mobile-Game“ geändert und an Giana Sisters, ein gehaltloses Jump ’n Run in der Qualitätsstufe von 15 Jahre alten Homebrews vergeben wurde, verlief so einiges nicht ganz nach Plan. Das „Beste Browsergame“ wurde WeWai, nach angaben der Juroren dank des Verzichts auf das Konkurrenzdenken, das für Browsergames bekannter weise essentiel ist und das Genre quasi definiert. Schön, wenn Innovationen in die falsche Richtung direkt mit einem Preis ausgezeichnet werden. „Bestes Studentenspiel“ wurde mit ähnlicher Begründung das Survival Horror Game Night of Joanette. Hier beruhte die Ernennung zum Gewinner auf der Gewaltlosigkeit des Spiels, denn der Hauptcharakter kann sich anders als bei Genrevorbildern wie Resident Evil oder Silent Hill nicht verteidigen und ist in seiner Opferrolle gefangen. Eben dieser Verzicht auf Waffen machte das Spiel bei der scheinbar höchst pazifistischen Juri trotz Horror-Story zum Gewinner der Kategorie Studentenspiel. Bestes Schülerspiel wurde ein Klon des beliebten World of Goo, das seinerseits bereits den internationalen Award für Kreativität in Videospielen gewann. Dennoch wurde die Kopie dank der höchst informierten Juri für seine Innovation und Kreativität auf Platz 1 der Kategorie gewählt.
Doch die zwei wichtigsten Auszeichnungen des Abends sollten noch folgen. In der Kategorie „Bestes Spiel von 12 bis 18 Jahren“, in der auf die Beschränkung durch kulturellen und pädagogischen Hintergrund verzichtet wurde, wählte die Juri das Spiel The Whispered World, ebenfalls ein auf den ersten Blick (ich bin mir natürich sicher, dass sich alle Jurimitglieder intensiv mit den Spielen auseinander gesetzt haben und es nicht beim ersten Blich blieb) gewaltfreies Rätselspiel in niedlicher Comicoptik. Ebensosehr hätte dieser wirklich gelungene Titel eigentlich auch in der Kategorie bis 12 Jahre Punkten müssen, aber ein Spiel doppelt zum Gewinner zu kühren geht ja leider nicht. Sollte man denken. Doch weit gefehlt: In der Kategorie „Bestes Internationales Spiel“, indem auch ausländische Titel zur Wahl standen, entschied sich die Juri kurzerhand erneut für Anno 1404 und machte dieses Meisterstück somit mit dem Titel „Bestes Deutsches Spiel“ und „Bestes Internationales Spiel“ zum besten Spiel der Welt. In dieser Kategorie gaben sich die Veranstalter der Verleihung erneut die Blöße, als sie plötzlich Verlauten ließen, dass der Gewinner der Kategorie nun ebenfalls den beliebten pädagogischen Hitnergrund aufweisen musste. Nominiert waren dabei allerdings unter Anderem pädagogisch höchst wertvolle Action-Titel wie Dragon Age und Uncharted 2. Dass Anno hier als einziges Spiel mit ansatzweise pädagogischem Hitnergrund den Sieg davon trug, war nicht schwer zu erahnen.
Alles in Allem bleibt die Veranstaltung also leider als undurchdacht, schlecht organisiert und konzeptlos in Erinnerung, was nicht zu letzt am Einfluss des Themas Pädagogik in Unterhaltungsmedien und der staatlich belasteten Juri lag. Besonders der Name „Deutscher Videospielpreis“ stößt dabei sauer auf. Wäre die Aktion unter dem Titel „Staatlicher Preis für pädagogisch wertvolle Videospiele“ abgelaufen, hätte sich wahrscheinlich niemand über die Ergebnisse beschwert, so aber bleibt vielen Gamern nur ein ernüchterndes Kopfschütteln übrig.
Für die Zukunft des Preises wünsche ich mir vor allem eine stärkere Differenzierung. Es ist wie bereits gesagt völlig in Ordnung eine Preisverleihung so abzuhalten wie es in Berlin geschah, aber dann unter anderem Motto, mit kompetenter Juri oder mit klaren Kategorien, in denen nicht gleich beim kleinsten Anzeichen von Gewalt ein Riegel vor Nominierungen geschoben wird. Beim „großen Bruder“ Deutscher Filmpreis klappt es mit der Gewalt in Gewinnerfilmen doch auch! Bleibt also nur zu hoffen, dass sich der Preis ein durchgängiges Konzept erarbeitet und im nächsten Jahr, wenn die Preisverleihung in München stattfindet, einiges verbessert oder aber seinen Namen in „Deutscher Kinderspielepreis“ ändert.